Akute-Stressbelastung
Leitsymptom
- Nervöse Unruhe
Mögliche Begleitsymptome
- Hyperaktivität
- Hastige, heftige oder panikähnliche Reaktionen
- Verstärktes Flucht- und Rückzugsverhalten
- Echsen: aggressives Verhalten
- Chamäleons: dunkle Färbung
- Schlangen: aggressives Verhalten, Auswürgen von Nahrung
- Durchfall
Wann
- Unmittelbar nach Kauf des Tieres
- Während der Eingewöhnung in eine fremde Umgebung
- Bei Kontakt mit fremden Artgenossen
- Während Reptilienbörsen, Arztbesuchen oder längeren Transporten
Komplikationen
- Verletzungen aufgrund panikartiger Reaktionen
- Nahrungsverweigerung
- Erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten
Ursachen
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Soziale Konflikte: Unterdrückung durch dominante Artgenossen, Revierkonflikte durch zu viele Tiere in zu kleinen Gehegen, Paar- oder Gruppenhaltung von Einzelgängern.
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Ungeeignetes Geschlechterverhältnis: mehr Männchen als Weibchen, mehrere rivalisierende Männchen oder Weibchen auf engem Raum.
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Allgemeine Stress-Situationen, z.B. Ortswechsel, Transport, häufige Berührung.
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Mangelnde Regenerationsmöglichkeiten: fehlende Rückzugsmöglichkeiten oder blicksichere Verstecke, Lichtmangel, zu geringe Temperatur am Aufwärmplatz.
Therapie
Bitte beachte, dass die nachfolgenden Informationen die Untersuchung oder Behandlung durch einen Tierarzt nicht ersetzen können!
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Einen Tag vor und 12 Stunden nach einer starken Belastungssituation wird nicht gefüttert, um den Organismus zu entlasten.
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Nach starken Belastungen wie Reptilienbörse, Arztbesuch oder Neukauf sollte eine ausgedehnte Regenerationsphase mit minimaler Stressbelastung erfolgen. Hierbei sollten ein blicksicheres Versteck und ein ungefährdeter Sonnenplatz unbedingt vorhanden sein. Zur Stärkung des Immunsystems werden Wärme-, Licht- und UV-Bestrahlung optimiert. Begleitend kann eine kurzfristige Gabe pflanzlicher Immunstimulantien (z.B. Echinacea) erwogen werden.
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Starker Stress verbraucht große Mengen Glukose und führt dadurch innerhalb kurzer Zeit zu mangelnder Belastbarkeit, Schwäche und Erschöpfung. Aus diesem Grund darf der Glukose-Anteil der Nahrung nach einer starken Belastung für einige Tage moderat erhöht werden. Abhängig von der jeweiligen Tierart z.B. durch verstärkte Fütterung von Früchten, jungen Pflanzentriebe oder entsprechend angereicherten Futtertieren. Glukose stimuliert vor allem die Serotonin- und Noradrenalin-Ausschüttung und kann die Regeneration beschleunigen.
- Ist das Tier erkennbar geschwächt, werden Licht- und Temperaturniveau angehoben. Hierzu wird am Aufwärmplatz eine zusätzlichen Lampe (am besten HQI) so montiert, dass dort die Temperatur um 2–5 °C ansteigt. Die Bestrahlungsdauer sollte der Sonnenscheindauer im Habitat (Sommerhalbjahr) entsprechen. Detaillierte Informationen findest du unter: Fiebertherapie
Maßnahmen zur Stressreduktion
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Hauptursache für Stressbelastungen sind Konflikte mit Artgenossen. Deshalb solltest du dich genau über die sozialen Gewohnheiten der jeweiligen Art informieren und den Empfehlungen folgen.
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Viele Reptilien sind Einzelgänger und fühlen sich in Einzelhaltung wohler. Manche Arten können als Gruppe gehalten werden, allerdings nur unter genauer Berücksichtigung der Gruppenzusammensetzung. Insbesondere die gemeinsame Haltung mehrerer Männchen ist häufig problematisch. Abhängig von der jeweiligen Art solltest du deshalb auf ein angemessenes Geschlechterverhältnis achten. In der Regel ist ein deutlicher Überhang an Weibchen sinnvoll. Andernfalls drohen ständige Rangeleien und fortwährende Belästigung der Weibchen.
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Territoriale Arten sollten nur in ausreichend großen Gehegen und unter genauer Beachtung der Gruppenkonstellation gehalten werden. Die Rangordnung der Tiere muss aufmerksam beobachtet werden. Für unterdrückte Tiere ist Einzelhaltung dringend anzuraten.
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Je größer und besser strukturiert ein Gehege ist, desto geringer ist auch die Stressbelastung. Einen Überbesatz mit Tieren solltest du unbedingt vermeiden.
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Transportstress lässt sich durch zwei einfache Maßnahmen wirksam reduzieren: durch Dunkelheit und Hautkontakt. Dunkelheit fördert die Melatonin-Ausschüttung und wirkt somit beruhigend. Ein verhältnismäßig enger, mit geeignetem luftdurchlässigem Substrat gefüllter Transportbehälter schafft ähnliche Verhältnisse wie im Versteck des Tieres. Der direkte Kontakt zwischen Haut und Substrat stimuliert die Ausschüttung des entspannenden Hormons Oxytocin.
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Selbst starker Stress wird relativ gut vertragen, wenn die Möglichkeit zu adäquater Erholung besteht. Orte der Regeneration sind in erster Linie Versteck und Sonnenplatz. Jedem Tier sollten also ein blicksicheres Versteck und ein von Konkurrenten nicht gefährdeter Sonnenplatz zur Verfügung stehen. Sammelunterkünfte und umkämpfte Sonnenplätze erschweren die Regeneration erheblich. Achte auf ausreichende Licht-, Wärme- und UVB-Strahlung und eine angemessene Beleuchtungsdauer. Häufig brennen die Lampen viel zu kurz oder produzieren zu wenig Wärme.
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Chamäleons sind besonders stressanfällig. Hier helfen dichte Bepflanzung und eine Verkleidung der Rück- und Seitenwände, um Sichtschutz zu gewährleisten. Eine Baumkronen- bzw. Strauch-Imitiation erreichst du durch hellgrüne Wände mit marmorierten Flecken in dunklerem Grün. Für bodenbewohnende Arten kannst du Seiten- und Rückwände verwenden, die mit Kork, Rinde oder Steinen beklebt sind.
Kommentar
Die Stressanfälligkeit ist innerhalb der jeweiligen Familien bzw. Gattungen teilweise recht unterschiedlich ausgeprägt und hängt von mehreren Faktoren ab. Generell kann man jedoch bei Geckos, Eidechsen, Anolis und insbesondere bei Chamäleons eine hohe Anfälligkeit voraussetzen, während die meisten Schildkrötenarten, vor allem Landschildkröten, recht robust veranlagt sind. Warane reagieren bei Haltungsfehlern signifikant häufig mit depressiven Störungen. Der Natur entnommene Tiere zeigen in der Regel stark ausgeprägte Stressreaktionen, die im natürlichen Habitat vorteilhaft sind, nicht aber in den beengten Verhältnissen eines Terrariums. Nachzuchten neigen dagegen eher zu geringer Stresstoleranz im Sinne einer Neurasthenie. In der Rangordnung nehmen solche Tiere meistens untergeordnete Stellungen ein.
Bei akuten Traumatisierungen ist die Stressbelastung von kurzer Dauer, aber von hoher Intensität. Bei empfindlichen Arten kann das Stress-System bereits schnelle Bewegungen, stärkere Erschütterungen oder visuelle Fixierung als Zeichen eines bevorstehenden Angriffs werten und entsprechende Angstreaktionen auslösen. Als starke Bedrohung wird die Berührung durch einen potentiellen Fressfeind empfunden. Der Versuch, das Tier festzuhalten, hochzuheben oder umzudrehen, steigert die Angst beträchtlich, da auch Fressfeinde diese Strategie anwenden, um ihr Opfer zu überwältigen. Veterinärmedizinische Maßnahmen, insbesondere invasive Eingriffe mit Kathetern und Sonden oder Maßnahmen zur Zwangsernährung können deshalb als starke Belastung erlebt werden.
Auch die Eingewöhnung in eine neue Umgebung – also ein Revierwechsel – ist für Reptilien mit erheblichem Stress verbunden. Bereits der Revierverlust löst starke Ängste aus, es folgen die Strapazen des Transportes und die Eingliederung in ein völlig unbekanntes Revier. Im Falle einer Gruppenhaltung muss sich der Neuankömmling außerdem gegen die ansässigen Konkurrenten behaupten und einen Rang in der Gruppenhierarchie erkämpfen. Revierkonflikte können mitunter schon nach wenigen Tagen zum Tod des unterlegenen Tieres führen. Werden zwei Männchen einer territorialen Art auf engem Raum zusammengehalten, so wird das schwächere Männchen mit Fluchtverhalten reagieren. Da es das Territorium des dominanten Männchens nicht verlassen kann, bleibt ihm keine Möglichkeit der Stressbewältigung.
Ein häufig unterschätzter Stressfaktor ist die Bedrohung des Verstecks. Ein sicherer Zufluchtsort ist zum Überleben im Habitat unverzichtbar. Wird das Versteck von Fressfeinden entdeckt, so besteht eine potentiell lebensgefährdende Situation – einmal enttarnt, wird es oft auch in Zukunft als „nicht mehr sicher“ bewertet. Der Halter sollte das Versteck deshalb grundsätzlich als Tabuzone betrachten, dort nach Möglichkeit keine Umbauten vornehmen und keine Sichtkontrollen durchführen.
Akute Stressbelastungen sind gekennzeichnet durch hyperaktives Verhalten. Es ist der Versuch, Stress durch verstärkte Aktivität zu bewältigen. Die Körpersprache zeigt eine ausgeprägte Erregungshaltung mit unruhigen, rastlosen und beschleunigten Bewegungen. Situativ bedingt kommt es zu Panikreaktionen und übertriebenen Fluchtreaktionen, die unter beengten Bedingungen leicht zu Verletzungen führen können. Die Sinne sind nervös-angespannt, hellwach und fokussiert. Der Appetit ist reduziert. Oft zeigt sich eine selektive Nahrungsaufnahme: Pflanzenfresser bevorzugen glukosereiches Futter, Fleischfresser reduzieren ihr Jagdverhalten und konzentrieren sich auf besonders schmackhafte Beutetiere. Häufig treten Verdauungsstörungen auf, z.B. sporadische Durchfälle oder Kot mit unverdauten Nahrungsbestandteilen. Vorhandene Darmparasiten können sich in diese Phase stark vermehren.
Die beschriebenen Symptome werden in erster Linie durch erhöhte Ausschüttungen des Stresshormons Kortisol verursacht. Die aktivierenden Botenstoffe Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin sind häufig ebenfalls erhöht, die Produktion des beruhigenden Serotonins wird hingegen unterdrückt. Die hyperaktive Phase hält in der Regel nur einige Tage bis maximal einige Wochen an. Sie kann bei anhaltender Belastung in eine chronische Stressbelastung übergehen.